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Kommentar: ORF-Interview zur Generation Z

Das öffentlich-rechtliche ORF gilt (zu Recht) als Medium mit Objektivitäts- und Ausgewogenheitsauftrag. Umso erstaunlicher ist ein jüngst ausgestrahltes Interview zur Generation Z, das einige Fragen bei mir aufwirft. Eine junge Unternehmerin – Yaël Meier, Mitte 20 – wird dort als „Erklärerin der Generation Z“ vorgestellt und als Expertin für die Jugend von heute präsentiert. Ihre Hauptqualifikation? Sie gehört selbst zu Gen Z und berät Firmen dabei, junge Leute zu verstehen. Klingt erst mal originell – doch ist das wirklich ein Zeichen von Expertise?

 

In diesem Blog-Kommentar fasse ich die Kernaussagen des Interviews zusammen, prüfe kritisch die behauptete Expertise der Gesprächspartnerin und erläutere, warum dieses Interview aus meiner Sicht mit der falschen Person und unter fragwürdigen Prämissen geführt wurde.

 

Im Interview erläutert Yaël Meier aus ihrer Perspektive, wie die Generation Z tickt und was das für die Arbeitswelt und Wirtschaft bedeutet. Hier die wichtigsten Punkte, die sie und der ORF-Moderator herausgestellt haben:

 

  1. Es besteht ein grundlegendes Unverständnis zwischen den Generationen, da sie unterschiedlich geprägt wurden. Die ältere Generation erwartet oft, dass junge Menschen sich „wie früher“ erst beweisen müssen – was dem heutigen Arbeitsmarkt nicht gerecht wird. Es braucht mehr Kommunikation und Verständnis füreinander in Unternehmen.
  2. Unternehmen haben Probleme, neue Talente zu finden, auch aufgrund des demografischen Wandels; in den nächsten zehn Jahren werden 30 % mehr Menschen aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden als eintreten.
  3. Viele Unternehmen kommen mit den veränderten Ansprüchen junger Menschen nicht mehr mit und versuchen, sie über klassische, nicht mehr relevante Kanäle wie Berufsmessen anzusprechen. Wer junge Menschen erreichen will, muss auf Social Media sein und die „Sprache“ der Jungen sprechen. Dabei hilft Frau Meier auch „ganz uneigennützig“ als Beraterin. Denn: Nicht die Jungen müssen sich anpassen, die Firmen müssen sich an die Jungen anpassen. Der demografische Wandel habe die Machtverhältnisse verändert.

In meiner MBA-Thesis von 2024 habe ich unter anderem die Frage aufgegriffen, was ein Experte ist. Ich beziehe mich dabei auf Bogner et al.: Expertinnen und Experten sind Personen, bei denen begründet anzunehmen ist, dass sie Sonderwissen besitzen, das nicht allgemein zugänglich ist, und das jederzeit kommunikativ verfügbar ist. Zusätzlich verfügen sie über Fachwissen im spezifischen Handlungsfeld und Deutungswissen über Zielgruppen. Für die Validierung solcher Expertise ist die Pluralität der Perspektiven entscheidend – also mehrere Akteure/Stimmen, um Verzerrungen zu vermeiden. 

 

Frau Meier wird als Stimme zur Gen Z vermarktet und hält Vorträge zu diesem Thema. Man kann ihr daher Praxiswissen zugestehen; aufgrund ihrer Beratertätigkeit mag auch Deutungswissen vorliegen. Ob aus Beratungserfahrung aber eine Generalisierung auf „die Generation“ zulässig ist, bezweifle ich. Jedenfalls ist die geforderte Pluralität der Perspektiven nicht erfüllt: Der ORF hat genau eine Meinung als Basis hergenommen und die Aussagen von Frau Meier faktisch als generelle Wahrheit stehen lassen.

 

Vielmehr werden die Talking Points von Frau Meier, die sie wohl im Zuge ihrer Beratertätigkeit als „Erklärerin der Gen Z“ vertritt, als einseitige Diagnose ohne klare methodische Validität präsentiert. Von einem öffentlich-rechtlichen Unternehmen mit gesetzlichem Anspruch auf Objektivität/Ausgewogenheit hätte ich mir bei Expertenermittlung und Darstellung eines derart breiten Themas mehrstimmige Einordnung erwartet: Wissenschaft (Jugend-/Arbeitsmarktforschung), betriebliche HR-Praxis und junge Beschäftigte – und meinetwegen zusätzlich eine Agentur-Stimme. Die als Tatsachen dargestellten Aussagen werden von einer Person behauptet, aber wenig belegt.

 

Ich finde das viel zu kurz gegriffen. Wenn man eine Generation erklären will, lädt man nicht eine Unternehmerin ein und nennt das „die Perspektive“. Man macht eine runde Runde: empirische Jugend-/Arbeitsmarktforschung, betriebliche HR-Praxis – und ja, meinetwegen auch eine Agentur-Stimme. Alles andere ist bequemes Storytelling.

Quellen:

Generationenkonflikt: Firmen verlieren junge Talente | ZIB Magazin veröffentlicht auf Youtube am 19.04.2025 https://www.youtube.com/watch?v=2PoFOEE2ZW8

Bogner, A.; Littig, B.; Menz, W. (2005): Das Interview. Theorie, Methode, Anwendung. Wiesbaden: VS Verlag. – sowie Bogner, A.; Littig, B.; Menz, W. (2009): Interviews. Theorien, Methoden, Anwendungsfelder. Wiesbaden: VS Verlag. (zitiert nach meiner MBA-Thesis).