· 

Long Covid - ein Erfahrungsbericht

Im März 2023 jährte sich meine Corona Erkrankung. Was mit einem milden (eigentlich keinem) Verlauf begann, wurde zu einem Höllenritt für meinen Kopf und mich. Hanna Spegel hat mir in einem Gespräch empfohlen, ein Tagebuch zu führen, um die Entwicklung selbst zu dokumentieren. Das habe ich begonnen und wieder verworfen. Ich habe aber diesen Eintrag angefangen, mit den Meilensteinen in der Entwicklung. Als meine eigene Verarbeitung und auch, um etwaigen Lesern, die mit einer ähnlichen Entwicklung kämpfen, Mut zu machen. 

 

Die Zeitachse verlief bei mir wie folgt:

Es ist der 13. Februar 2022, ein Sonntag in der Semesterferienwoche in Niederösterreich. Nach einem wunderbaren Schitag in Annaberg ist meine Tochter Anna etwas müde. Morgen geht aber das nächste Schulsemester in der Volksschule Furth wieder los und sie wurde von ihrer Lehrerin angehalten, vor Montag noch einen Antigentest zu machen. Das tun wird und dieser ist überraschend für uns alle positiv. Wir machen gleich noch die Meldung und erhalten umgehend einen Bescheid, dass Anna bis zum PCR-Testergebnis in Quarantäne ist. Ich mache jetzt mal Homeoffice, 

 

Am 15. Februar kommt Annas PCR überraschend auch positiv retour. In der Zwischenzeit ist mein Sohn Johannes als ungeimpftes Kind auch in Quarantäne. Keiner von uns hat Symptome.

 

Am 16. Februar kommt meine Frau Verena auch mit einem positiven PCR-Test von der Arbeit wieder nach Hause. Meine Frau und meine beiden Kindern sind also jetzt mal zu Hause. Ich halte die Lebensmittelversorgung aufrecht und gehe arbeiten. Und natürlich mache ich täglich entweder einen Antigentest oder einen PCR-Test, aber bisher ist bei mir alles negativ. 

 

Am 20. Februar testet sich Anna frei, sie hat aus meiner Sicht bis auf auffallende Müdigkeit keinerlei Symptome gehabt, worüber ich sehr froh bin. Verena bleibt mit starken Erkältungssymptomen zu Hause und beschließt das Freitesten erst gar nicht zu probieren. 

 

Am 25. Februar sind 10 Tage vergangen, seit Anna positiv getestet hat. All meine Tests verlaufen negativ, ich beschließe noch ein letztes Mal PCR testen zu gehen und denke mir, danach lasse ich es. Der Kelch scheint an mir vorübergegangen zu sein. 

Dieser letzte Test ist überraschend positiv. Also ab in die Quarantäne für mich. Das bedeutet auch erneute Quarantäne für Johannes, der als ungeimpfte Kontaktperson also mittlerweile 4 Wochen zu Hause sein wird. Zuerst mit Anna, dann mit mir. Wir „feiern“ auch den Faschingsdienstag in Quarantäne. 

 

Am 3. März 2022 teste ich mich offiziell frei. Auch mein Sohn Johannes testet negativ, er darf aber weiterhin nach 3,5 Wochen nicht aus der Quarantäne. Was ich von dieser Regelung halte, erspare ich den Leserinnen und Lesern. Ich gehe jetzt mal eine kleine 8-km-Runde laufen und fühle mich wie vorher. Das ist für mich auch klar, ich hatte ja keinerlei Symptome während der ganzen Zeit. 

 

Etwa eine Woche später geht es los. Ich habe immer wieder stechende Kopfschmerzen, die mich für Sekunden, manchmal Minuten flach legen. Es fühlt sich an, als würde jemand eine Stricknadel in mein Hirn bohren, mir wird schwarz vor Augen. Das passiert jeden Tag etwa 2–3 Mal über die nächsten 2 Monate. Zusätzlich beginnen Konzentrationsprobleme. Ich kann kaum mehr als 1–2 maschinengeschriebene Seiten lesen, danach verliere ich die Konzentration und kann nicht mehr sagen, was ich da gerade vor mir habe. Außerdem merke ich, dass etwas mit meiner Kondition nicht stimmt. Ich kann kaum mehr als 5–6 km am Stück laufen, ohne eine Gehpause zu machen. Und ich bin extrem langsam. Ich muss dazu sagen, ich war nie schnell. In meinen besten Phasen konnte ich 15–20 km mit 6 Minuten pro Kilometer laufen. Jetzt bin ich bei 7:30-8 Minuten pro Kilometer, also besseres Joggen und selbst das halte ich, wie zuvor erwähnt, nur 5–6 km durch, obwohl ich 2–3 mal pro Woche laufe. Es findet auch kein Konditionsaufbau statt.

 

Ab April 2022 kommen Wortfindungsstörungen hinzu. Mir fallen die einfachsten Begriffe nicht mehr ein. So sitze ich beispielsweise mit einem Kunden zusammen, der eine Probelieferung einer Ware bekommt, die er sich anschauen will. Als der LKW da ist sage ich, „wir gehen jetzt rüber und schauen uns das Abladen mit dem ...“ zum Glück habe ich einen sehr geduldigen Kunden, den er ergänzt mal „Stapler?“ an. Ich bin zum Glück ein furchtbar erfahrener und talentierter Verkäufer und kann in den meisten Fällen gut über die Lücken drüber reden oder sie umschreiben. Aber dennoch merke ich, wie diese Situation anfängt, an meinem Selbstvertrauen zu nagen. Schlimmer wird sie Sache, wenn ich unter Stress gerade, bei Verhandlungen Druck ausgeübt wird, oder Dinge (E-Mails, Anrufe und dann kommt noch jemand zu mir an den Tisch und will was) gleichzeitig passieren. Dann fühle ich mich tatsächlich kurzzeitig wie lahmgelegt und bin zu keinem klaren Gedanken mehr fähig. Zu dieser Zeit fühle ich mich sehr hilflos. Mir ist bewusst, dass ich nicht die Leistungen erbringe, die ich gewohnt bin. Mit der Konditionssache konnte ich leben, ich war nie der Megasportler. Aber ich war immer überzeugt, dass ich ein extrem kluger Kopf war, der rasch lernt und auf Dinge reagieren kann. Und genau dieses Talent ist plötzlich nicht mehr da. Als hätte Michael Jordan verlernt Basketball zu spielen oder Ayrton Senna könnte nicht mehr Rennfahren. 

 

Nachdem das wie oben beschrieben bis in den Mai 2022 geht, beschließe ich, dass das so nicht weitergehen kann. Ich mache mir einen Termin bei meinem Hausarzt aus, erkläre ihm die Sache und sage, wir müssen das gemeinsam wieder auf die Reihe bekommen. Er meint, dass das nach klassischen Symptomen für Long Covid klingt, wie sie aktuell in der Literatur beschrieben werden. Es gibt dazu aber keine ihm bekannte Behandlung. Das Einzige, was man aus seiner Sicht jetzt mal machen kann, ist auszuschließen, ob die Symptome von anderen Dingen stammen können. Er überweist mich entsprechend zum Halsschlagader-Röntgen und zur Hirn-Magnet-Resonanz. Und er meint, es ist sinnvoll, wenn ich die Sache auch mit einem Neurologen bespreche. So komme ich also zu meinem ersten Termin bei einem Psycho-Doktor. Mein Hausarzt überweist mich übrigens mit dem Kommentar: „Ich überweise sie jetzt übrigens an einen Kassenarzt. Aber keine Sorge, der ist voll ok.“ Ich bin mir bis heute nicht sicher, wie ich diese Aussage finden soll.

 

Die Ergebnisse der oben erwähnten Untersuchungen trudeln über den Sommer ein. Ergebnis null. Das Halsschlagader-Röntgen zeigt nur, dass ich Knoten auf meinen Schilddrüsen habe. Das ist ein Jod-Mangel, den angeblich jeder zweite Mensch hat. Halsschlagader ist vollkommen in Ordnung, die Wirbelsäule zeigt altersbedingte Abnützungserscheinungen auf. Und ich höre zum ersten Mal in meinem Leben den Satz: „Herr Plauensteiner, sie sind halt keine 20 mehr.“ Aber geh.

Alles keine Erklärung für meinen Zustand. Wenigstens werden die Kopfschmerzen besser. Die Nadel in den Kopf kommt jetzt nur mehr alle paar Tage. Konzentration und Wortfindungsstörungen sind aber weiterhin extrem schlimm für mich.  

 

Im Juni 2022 erklärt mir der Krankenkassen-Neurologe, dass alle Befunde normal sind. Rein von dem, was ich ihm sage, Gedächtnisprobleme, Wortfindungsstörungen, Kopfschmerzen, Konzentrationsprobleme sind seiner Meinung nach Symptome für eine Demenz. Das kann man aber in meinem Alter ausschließen. Auch vom MRT her. Denn – und das lerne und merke ich mir sogar – bei einer Demenz schrumpft das Hirn und so etwas sieht man im MRT. Mein Hirn ist kein Schrumpfhirn. Er meint, eigentlich kann man jetzt genau nichts machen außer viel schlafen, wenig Stress und viel Bewegung. Aber er hat dann noch eine Idee: Er meint, wenn ich unbedingt will, kann er mich an eine Expertin in Sankt Pölten überweisen. Sie arbeitet eigentlich mit Demenzpatienten, hat sich aber die letzten Monate aus gegebenen Anlass auf Long Covid fokussiert. Das mache ich. 

 

Am 26. August 2022 finden wir schlussendlich einen Termin für die Testung. Ich brauche eigentlich kein Testergebnis, um zu sehen, dass ich wirklich schlecht abgeschnitten habe, vor allem, wenn es um das Thema kurzfristig merken und wieder geben geht. Die Spezialistin wertet aber wie folgt aus: Meine visuelle Merkfähigkeit ist überdurchschnittlich, auch über einen längeren Zeitraum. Meine Merkfähigkeit von Wörtern ist unterdurchschnittlich, meine auditive Merkfähigkeit gerade so durchschnittlich. Und die Konzentrationsfähigkeit lässt über die Zeit sehr stark nach. Die für mich ziemlich zerstörende Aussage am Schluss lautet dann: „Für Arbeitsunfähigkeit und Führerscheinentzug reicht es nicht.“ Na danke aber auch. 

Sie erklärt mir auch: das Hirn ist ein Muskel. Wie bei einer Muskelverletzung muss zuerst die Heilung der Wunde erfolgen, dann kommt der Muskelaufbau, dann wird die Kondition wieder aufgebaut und selbst dann spürt man noch gelegentlich ein Zwicken. Genauso ist das jetzt bei mir. Etwas – vielleicht Covid – hat meinen Hirnmuskel verletzt. Jetzt beginnt der steile 2-jährige Weg. Und ich kann nicht viel dazu beitragen, außer meinem Hirn Ruhe zu gönnen, Stress meiden wäre notwendig und ich sollte mir überlegen einen anderen Job zu suchen. Das ist einer der frustrierenden Tage im Jahr 2022: Eine Ärztin sagt mir doch echt, dass ich meinen Führerschein behalten darf und ich mir eine Arbeit als, ja als was, Bibliothekar im 2 Personen Kloster suchen soll, bis mein Hirn die nächsten 2 Jahre hinter sich hat und ich wieder der Alte bin. Das schlimmste ist für mich aber die Aussage, dass ich nichts machen kann. Ich kann immer etwas machen. Ich habe in meinem ganzen Leben immer entschieden, was ich will, was ich kann, was ich mache. Und jetzt muss ich, ja was, die Dinge geschehen lassen?

Aber was ich mir mitnehme, ist, dass meine visuelle Merkfähigkeit offenbar noch normal ist. Also beginne ich genau das zu nutzen. Ich renne wie ein Verrückter im Betrieb herum, sehe mir Dinge an, lasse sie mir erklären. Von Mensch zu Mensch. Genauso schaue ich abends jede Menge Youtube-Videos mit Erklärungen an, meist in 2facher Geschwindigkeit, damit ich mehr schaffe. Tatsächlich bleibt viel hängen. Kaum lese ich aber für die Uni in der Pflichtliteratur, ist nach zwei Seiten Schluss. Tatsächlich lege ich mein MBA-Studium in dieser Zeit auf Eis. Es bringt nichts. Leider sind sämtliche Kurse so aufgebaut, dass man Unmengen an Literatur lesen muss. Eben nur lesen. Und das ist genau das, was ich aktuell eben nicht kann. Ich bräuchte jemanden, der mir die Dinge erklärt und den habe ich nicht. 

 

Im Oktober 2022 beginne ich morgens in die Arbeit zu laufen 1–2 Mal pro Woche. 7 km, ganz gemütlich, bei Sonnenaufgang bin ich auf der Donaubrücke, die ersten 3 Kilometer laufe ich aber durch die Dunkelheit. Ich lebe am Land, auf den Wegen, auf denen ich laufe, gibt es keine Autos. Ich höre bewusst keine Musik. Nur ich, mein Hirn, mein Atem und die Dunkelheit. Diese 45 Minuten sind eine unglaublich gute Therapie für mich. Ich denke in dieser Zeit nicht, sondern lasse mein Hirn vollkommen auf Leerlauf. Von diesen 45 Minuten zehre ich den ganzen Arbeitstag.

In dieser Zeit hören auch die Wortfindungsstörungen auf. Meine Art zu sprechen aus meiner Sicht wieder normal. Bei Verhandlungen merke ich keinen Unterschied zu früher. Ich nehme auch wieder das MBA-Studium auf. Die Merkfähigkeit bei Texten ist immer noch scheiße, aber ich zwinge mich die hunderten Seiten Literatur verteilt über die Tage zu lesen. Immer 2–5 Seiten, dann Pause, dann wieder weiter; morgens, in der Mittagspause, am Klo, vor dem Schlafen gehen. Und ich schaffe es bis Mitte Dezember 3 Uni-Kurse erfolgreich abzuschließen. Nicht gut, aber zumindest positiv. 

Ich merke, wie mein Selbstvertrauen zurückkehrt. Mein Hirn funktioniert wieder. Vielleicht noch nicht wie es war, aber besser als das ganze Jahr. Das Ganze verläuft nicht ohne Rückschläge. Anfang November sind für einige Tage die stechenden Kopfschmerzen wieder zurück, aber nur für ein paar Tage. 

Ich spüre auch, dass der Stress mich weiterhin fertig macht. Zwischen Weihnachten und Neujahr mache ich etwas, das ich in keinem meiner bisher 18 Jahren beruflicher Tätigkeit gemacht habe. Ich drehe mein Handy ab. Ich kann nicht mehr erreichbar sein. Mein Kopf benötigt diese Pause. 

Nach dem Neujahr starte ich auch wieder mit meinem Laufprogramm. Ich laufe 2x pro Woche in die Arbeit und auch wieder nach Hause. 4x7 km. Damit höre ich im März allerdings wieder auf. Es ist zu frustrierend, dass ich trotz der vielen Rennerei einfach nicht schneller werde.

Parallel schreibe ich im März die ersten 10.000 Wörter meiner Masterthesis und bin verblüfft, dass es mir problemlos gelingt viele Seiten Literatur zu lesen und diese zu bearbeiten. Das scheint tatsächlich wieder so weit zu funktionieren. Mein Fachgutachter ist zwar mit meiner Zwischenabgabe nicht sonderlich zu zufrieden, aber ich bin es. 

Wortfindungsstörungen nehme ich keine mehr wahr, aber Wortverwechslungen. In Gesprächen mit Kollegen spreche ich öfter mal von Tonnen und meine Kilo, oder umgekehrt. Und aus einem Radlader wird öfter mal ein Radlager. 

 

Und damit sind wir im Hier und Jetzt angekommen, ein Jahr, nachdem Corona durch unsere Familie durchgerauscht ist. 

 

Ich kann nicht sagen, was ich habe. Vielleicht ist es Long Covid. Es ist mir auch egal, welche Bezeichnung mein Zustand hat. Er ist scheiße.

Ich kann auch nicht sagen, ob es überstanden ist. Ich hoffe nicht, denn körperlich bin ich immer noch vollkommen am Sand und sehe tatsächlich auch keine Besserung. 

Aber ich beschließe bei einem Lauf um das neue Jahr herum mit mir selbst: Ich werde wieder der Alte werden. Und seit ich das für mich beschlossen habe, spüre ich ein tiefes Selbstvertrauen in mir. Denn, wenn ich in den vergangenen 40 Jahren etwas über mich gelernt habe, dann ist es das: Wenn ich mir etwas in meinen Kopf setze, dann passiert es auch. Denn ich habe eine Fähigkeit, die auch durch meinen Zustand nicht gelitten habe: Meine Sturheit. Wenn ich mir etwas einbilde, dann hat das zu passieren. Und zwar zu meinen Bedingungen. Und dann sollte sich auch niemand mir in den Weg stellen. Denn ich gebe erst auf, wenn die Dinge auch passiert sind.  Und jetzt wird mir genau diese Sturheit dabei helfen, wieder ich selbst zu werden. Da besteht kein Zweifel. Rückschläge hin oder her.